Klimawahn: Deutschland drohen drastische Freiheitsbeschränkungen

Der Klima-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts gefährde praktisch jegliche grundrechtliche Freiheit, erläutert Rechtswissenschaftler Sebastian Müller-Franken, ordentlicher Professor für Öffentliches Recht an der Philipps-Universität Marburg, im Gastbeitrag:

Eine der weitreichendsten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, sein Beschluss vom 24. März 2021 zum Klimaschutz, wird als der für das Leben der Bürger weitreichendste einzustufen sein – jedenfalls sofern nicht rechtzeitig ein Ausstieg aus dem dort beschriebenen Szenario gefunden wird.

Das Gericht hat das Staatsziel »Umweltschutz« in einer Weise inhaltlich aufgeladen, die alles bisher Vorstellbare überstiegen hat. Es soll den Staat nicht allein, wie das Gericht bislang gesagt hatte, zum »Schutz des Klimas« verpflichten. Es soll vielmehr auch auf die Herstellung von »Klimaneutralität« zielen, also auf einen gesamtwirtschaftlichen Netto-Null-Ausstoß von Treibhausgasen.

Der Staat habe sein »bekundetes Bemühen«, das sogenannte Paris-Ziel, wonach der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 Grad und möglichst auf 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen sei, nicht nur zu verfolgen, sondern auch »zu realisieren«.

Aufgebrauchtes Budget

Die Berechnung des sich hieraus ergebenden globalen CO2-Restbudgets ist dabei mit Unsicherheiten verbunden. Wenn Deutschland aber den auf sich von diesem, wie immer berechneten, Budget entfallenden Anteil aufgezehrt hat, darf es nach der Logik der Entscheidung nach diesem Zeitpunkt im Prinzip gar kein CO2 mehr ausstoßen.

Da bei der bisherigen Lebensweise »nahezu jede Freiheitsbetätigung mit CO2-Emissionen verbunden« sei, sei zur Erreichung von Klimaneutralität eine weitreichende »Transformation« erforderlich, bei der letztlich sämtliche Lebensvollzüge der Bürger betroffen sind.

Denn »weil sich die Erderwärmung nur anhalten lässt, wenn die anthropogene CO2-Konzentration in der Erdatmosphäre nicht mehr weiter steigt«, müsste »CO2-relevanter Freiheitsgebrauch irgendwann im Wesentlichen unterbunden werden«: Freiheit als ein Auslaufmodell.

Angesichts dessen befand das Gericht, dass die vom Klimaschutzgesetz bis zum Jahr 2030 zugelassene Emissionsmenge das auf Deutschland entfallende Budget weitgehend aufbrauchen würde, so dass ab 2031 immer drastischere Freiheitsbeschränkungen drohten und praktisch jegliche grundrechtliche Freiheit gefährdet sei.

Grundstürzende Entscheidung

Das Grundstürzende der Entscheidung: Das Gericht hat das Grundgesetz verbindlich ausgelegt, was staatliche Organe künftig zu beachten haben werden.

Der Gedanke des Bundesverfassungsgerichts ist im Ausgangspunkt plausibel, dass der mit zwei Prozent nur geringe Anteil Deutschlands an den weltweiten Emissionen kein Argument gegen Klimaschutzverpflichtungen sein kann. Denn als globalem Phänomen kann dem Klimawandel nur begegnet werden, wenn jeder Staat die ihm gemäße Minderungsleistung erbringt, sodass Deutschland anderen Staaten keine Anreize setzen darf, dieses Zusammenwirken zu unterlaufen.

Allerdings ist fraglich, ob es sich hierbei um ein verfassungsrechtliches oder nicht eher, um ein Argument der politischen Klugheit im Umgang mit anderen Staaten oder ein Argument der Moral handelt. Diese Frage stellt sich, weil andere Staaten, hier vor allem solche, mit einem hohen Anteil am weltweiten CO2-Ausstoß, kaum etwas zur Senkung ihrer Emissionen unternehmen oder ihren Ausstoß sogar noch steigern.

Sofern in Deutschland nationale CO2-Minderungserfolge durch eine teuerungsbedingte Verlagerung energieintensiver Industrien vom Inland in das Ausland erreicht werden, tragen sie zur Erreichung des Ziels der Verringerung des CO2-Ausstoßes in die Erdatmosphäre nichts bei.

Problematische Annahmen

Deutsche Maßnahmen haben in diesem Fall global betrachtet keinen und, wenn im Ausland mit einer geringeren CO2-Effizienz gearbeitet wird, sogar einen negativen Effekt auf die Entwicklung des Weltklimas.

Der den Beschluss tragende Gedanke, dass für den Klimaschutz notwendige Freiheitseinschränkungen nicht zunehmend späteren Generationen auferlegt werden dürfen, sondern zwischen den Generationen gleichmäßig zu verteilen sind, entspricht dem Prinzip der Generationengerechtigkeit, was anzuerkennen ist. 

Die vom Gericht postulierte zwingende Notwendigkeit, Freiheitseinbußen in der Zeitfolge gerecht verteilen und deshalb zeitlich vorziehen zu müssen, besteht jedoch nur, wenn die späteren Beschränkungen von Freiheit vorgenommen werden müssen. Eine solche Annahme ist voraussetzungsreich.

Denn dazu braucht es erstens im Tatsächlichen eine bestimmte Menge an CO2, bei dessen Überschreiten das Paris-Ziel nicht mehr eingehalten werden kann (CO2-Budget). Rechtlich bedarf es, zweitens, einer Pflicht des Staates, der Überschreitung dieses Budgets entgegenzuwirken – und zwar in einer Weise, die im Beschränken von Freiheit besteht. Alle drei Annahmen sind problematisch.

Bemühen um Verlässlichkeit

Das Gericht stützt sich vor allem auf Berichte des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), auf Stellungnahmen des Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU) und auf Veröffentlichungen des Umweltbundesamtes (UBA). Diese Auswahl der Quellen lässt das Bemühen erkennen, durch deren Amtlichkeit die tatsächlichen Annahmen mit dem Siegel der Verlässlichkeit zu versehen.

Aber genau in dieser Amtlichkeit liegt das Problem: Das UBA etwa ist eine nachgeordnete Behörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt und Energie, die den Weisungen des Ministers unterliegt. Der SRU ist zwar nicht weisungsgebunden, wohl aber werden dessen Mitglieder vom zuständigen Umweltministerium ausgewählt und so auch von der Politik besetzt.

Zudem wird eine populärwissenschaftliche Schrift zweier Forscher am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, Rahmstorf und Schellnhuber, erwähnt. Angesichts dessen erstaunt es, dass das Gericht in diesem Verfahren auf eine mündliche Verhandlung verzichtet und darin nicht Klimawissenschaftler verschiedener Institute zum Forschungsstand befragt hat.

Kipppunkte

Eine mündliche Verhandlung hätte etwa Bedeutung gehabt für den Umgang mit der Kipppunkte-Theorie. In seiner Rezeption dieser Theorie, wonach es für Teilsysteme des Klimasystems bestimmte Schwellenwerte gebe (Kipppunkte), bei deren Überschreiten es zu abrupten und oft irreversiblen klimatischen Veränderungen kommt bezieht sich das Gericht auf deren Begründer, die bereits erwähnten Forscher am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung Schellnhuber und Rahmstorf.

Dabei ist deren Theorie nicht nur Gegenstand einer kontroversen wissenschaftlichen Diskussion. Der Theorie wird vom IPCC, auf das sich das Gericht vor allem stützt, vielfach nur mittlere oder nur geringe Sicherheit, also nur eine geringe Wahrscheinlichkeit zugemessen.

Sodann hat das Gericht zur Erzeugung des rechtlichen Zwangs für den Gesetzgeber, Freiheit drastisch beschränken zu müssen, das Staatsziel Umweltschutz inhaltlich zweifach aufgeladen: Die Norm ziele nicht nur auf Klimaschutz, sondern auch auf Klimaneutralität, und die Festlegung des Paris-Ziels im Klimaschutzgesetz sei für einen künftigen Gesetzgeber verfassungsrechtlich bindend. Beides ist problematisch.

Verfassungsändernder Gesetzgeber

Mit dem Ziel »Klimaneutralität« hat das Gericht der Norm einen anderen Inhalt gegeben und ist so als verfassungsändernder Gesetzgeber tätig geworden. Zwar verpflichtet Artikel 20a, der seit 1993 den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen festschreibt, zum Schutz des Klimas. Denn die natürlichen Lebensgrundlagen sind angewiesen auf ein Klima, in dem sie gedeihen können.

Dementsprechend war in den Beratungen vom Schutz aller Umweltfaktoren und auch vom Klima die Rede. Den Begriff der »Klimaneutralität« gab es 1993 jedoch noch nicht, diese Forderung wurde erst später erhoben und war damals nicht absehbar.

Wenn man sich nun vorstellt, was Klimaneutralität bedeuten soll, kann ein solches Ziel nicht in der Norm enthalten sein, da die Norm sich dann nicht mehr, wie dies der verfassungsändernde Gesetzgeber gewollt und zum Ausdruck gebracht hat, in das Gesamt der Verfassung einfügen, sondern zu einer Übernorm würde, der sich alles Weitere unterzuordnen hat.

Das Bundesverfassungsgericht sagt zwar, das Gebot der Klimaneutralität genieße keinen unbedingten Vorrang gegenüber anderen Belangen, sondern ist im Konfliktfall in einen Ausgleich mit anderen Verfassungsrechtsgütern und Verfassungsprinzipien zu bringen. Es sagt aber auch, dass je stärker der Klimawandel fortschreitet, umso stärker das Gebot des Klimaschutzes zu gewichten sei.

Rechtfertigungsbedürftige Ausnahme

Ist das Deutschland zustehende CO2-Budget verbraucht, müssten ihm andere Verfassungsgüter untergeordnet und grundrechtliche Freiheit »im Wesentlichen unterbunden werden«. Dazu stellt das Gericht das dem Grundgesetz zugrundeliegende rechtsstaatliche Verteilungsprinzip, wonach die Freiheit der Bürger prinzipiell unbegrenzt und der Staat prinzipiell begrenzt ist, schon für die Gegenwart auf den Kopf.

So spricht es von »Großzügigkeiten des gegenwärtigen Klimaschutzrechts«, CO2-emitierende Verhaltensweisen der Bürger »zuzulassen«, anstelle sie nicht schon längst verboten zu haben. Das Verhalten des Bürgers steht so unter einem generellen CO2- Zulassungsvorbehalt, eine Vorstellung, die dem Grundgesetz fremd ist: die Freiheit des Bürgers ist ursprünglich, unabhängig von staatlicher Gestattung, Verbote sind die rechtfertigungsbedürftige Ausnahme.

Die Grenzen der Rechtsfortbildung überschritten, hat das Gericht auch mit seinen Aussagen zur Bedeutung des Paris-Ziels. Völkerrechtlich vereinbart ist nur die Idee, dass es ein globales CO2-Budget geben soll.

In der Frage, nach welcher Methode dieses Budget auf die Staaten zu verteilen ist, gab es dagegen keinen Konsens. Das deutsche Klimaschutzgesetz hat sich hier den Vorschlag des SRU zu eigen gemacht, weltweit gleiche Pro-Kopf-Emissionsrechte zugrunde zu legen.

Nicht überzeugend

Das Gericht sagt zwar, dass auch andere Aufteilungen »denkbar« sind. Der Gesetzgeber müsse dieser Quantifizierung des Restbudgets des Sachverständigenrates aber »Rechnung tragen«. Das ist nicht überzeugend.

Der Umstand, dass eine Verteilung »pro Kopf« als eine Methode angesehen werden kann, die der Pflicht zur internationalen Zusammenarbeit genügt, erklärt nicht, warum der Gesetzgeber nicht einen anderen Maßstab soll wählen dürfen, solange er damit nicht gegen das Grundgesetz verstößt.

Geht es um die Frage, wieviel CO2 ein Staat ausstoßen darf, ist es für die Wahrung des hier maßgebenden Gleichheitssatzes aus Sicht des CO2-Gehalts der Atmosphäre wesentlich naheliegender, wenn schon nicht auf das Bruttosozialprodukt, so jedenfalls auf die Wertschöpfung eines Landes pro emittierte CO2-Einheit (CO2-Effizienz) abzustellen.

Damit aber ergäbe sich für Deutschland, als das Land mit der wohl höchsten CO2-Effizienz der Welt, ein deutlich größeres CO2-Budget, als dies mit dem Pro-Kopf-Maßstab angenommen wird. Das Parlament dürfte sich daher auch für diesen Maßstab entscheiden.

Misstrauen in die Demokratie

Eine Möglichkeit wäre die Nutzung der Kernenergie. Sie ist nicht nur CO2-neutral und grundlastfähig. Ihr Einsatz erübrigte auch alle Eingriffe in die Freiheit der Bürger, da die Ausübung von Freiheit bei ihrer Nutzung für das Klima irrelevant wäre.

Indessen geht das Gericht davon aus, dass die Reduktion von CO2-Emissionen nur durch die Beschränkung von Freiheit herbeigeführt werden kann. Die Entscheidung ist dabei getragen vom Glauben an staatliche Allmacht, gepaart mit Misstrauen in die Demokratie.

Sein Misstrauen gegenüber der parlamentarischen Demokratie in der Frage des Klimaschutzes spricht das Gericht offen aus, wenn es sagt, die vom Umweltschutzartikel »angestrebte Bindung des politischen Prozesses drohte verloren zu gehen, wenn über den materiellen Gehalt des Artikel 20a GG vollumfänglich im tendenziell kurzfristiger und an direkt artikulierbaren Interessen orientierten tagespolitischen Prozess entschieden würde«.

Auf der Grundlage dieses Verständnisses der Funktionsweise des demokratischen Prozesses sah sich das Gericht berufen, die »Vormundschaft« über die Klimaschutzpolitik zu übernehmen und in einem »gouvernement des juges« die in Deutschland geltenden Regeln für die Rettung der Welt dekretieren zu müssen: Mit dem Klima lässt sich nicht verhandeln.

Verlust der Freiheit

Mit der Verlagerung politischer Entscheidungen auf die Ebene der Verfassung verschafft das Gericht der Politik die Möglichkeit, bei unpopulären Maßnahmen auf seine Autorität zu verweisen und ihren Kritikern nicht nur »Klima-« respektive »Wissenschaftsleugnung«, sondern auch fehlenden Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht und damit vor der Verfassung selbst vorzuwerfen.

Das Grundgesetz verpflichtet das Bundesverfassungsgericht indes nicht dazu, den Deutschen den Verlust ihrer Freiheit »zur Weltrettung per Gerichtsbeschluss« aufzuerlegen.

Vielmehr hat es dem Klimaschutz nur einen verfassungsrechtlichen Rahmen zu setzen, der die Freiheit der Bürger nach Möglichkeit schont: Mit dem Klima lässt sich zwar nicht verhandeln, wohl aber über die Wege, wie Deutschland seinen Beitrag zum Klimaschutz unter Wahrung der Freiheit seiner Bürger erbringen kann. Sebastian Müller-Franken