Journalisten - Spürhunde oder Missionare?

Was ist nur aus dem Journalismus geworden? Renate Köcher hat schon 1985 eine Arbeit vorgelegt mit dem Titel "Spürhund und Missionar". "Spürhund" ist ihre Metapher für investigativen Journalismus. Der "Missionar" bekehrt, trägt die Botschaft der Regierung in das Volk. Schon damals wunderte sich Köcher, die seit vielen Jahren Chefin des Allensbacher Meinungsforschungsinstituts ist, dass westdeutsche Journalisten in vielen Feldern nicht die Sicht der angelsächsischen Kollegen teilten. Die verstehen sich nämlich als "Spürhunde". Die deutschen Journalisten sind eher brav, zahm geworden. Sie zeigen Haltung, dabei stets mit beifallheischendem Blick Richtung Regierung. Das zeigt(e) sich eindrücklich während der Corona-Krise. 

Folgenlos blieb zum Beispiel die Enthüllung der Welt am Sonntag, dass das Innenministerium ein Forschungsinstitut mit Rang und Namen dazu gebracht hat, die Folgen der Pandemie überzudramatisieren, um so die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen. Die Bundespressekonferenz hat zu diesem skandalösen Vorgang vor sich hin gedöst. Das ZDF hat zehn Tage später kurz darüber berichtet. Das war's auch schon. Journalismus ist zahm geworden, lässt sich mit den Informationsbröckchen abspeisen, die die Regierung wie Almosen verteilt.

Derzeit versucht der freie Journalist Boris Reitschuster die eingerostete Bundespressekonferenz zum Leben zu erwecken. Dass er Mundschutz tragen muss, die Sprecher aber nicht, ist keine Stilfrage, sondern Machtdemonstration. Dass ihn sogar eine Journalistenkollegin ermahnt, den Mundschutz aufzusetzen, ist ein weiterer Sargnagel für den Journalismus. Die Regierungssprecher sitzen nicht mehr nur vorne, sondern auch unter den Journalisten. Reitschuster führt gekonnt eine Institution vor, die innerlich bereits zerfällt. Dass jetzt „Kolleg*innen” versuchen, Reitschuster zu diffamieren und zu diskreditieren, ist infam. Die gute Nachricht ist: Diese Art von medialem Donnerwetter überlebt man, es sind intelligenzlose Wichtigtuereien, wenn Stilfragen zu Grundsatzfragen aufgeblasen werden. 

Da wären wir also bei den journalistischen "Missionaren", die gerade die deutsche Medienlandschaft bekehren. Sie stören sich an Fragen anderer, die sie selbst nicht stellen wollen, weil Fragen ihre Kostbarkeit beschmutzen könnten: die Glaskugel-Weisheit der Regierung, der sie sich verpflichtet fühlen und die sie verteidigen bis zum letzten Exemplar ihrer sinkenden Auflagen. 

Warum sind die heutigen (deutschen) Journalisten lieber "Missionare" als "Spürhunde"? Sattheit? Bequemlichkeit? Oder pure Existenzangst, den Job zu verlieren, wenn man nicht auf der Seite der "angeordneten Wahrheit" steht? Oder ist doch noch mehr Neid? Neid, dass eine Medienlandschaft außerhalb ihres Schutzraums entstanden ist und wächst – und wächst. Dort werden die Fragen gestellt. Mit der wirklichen Welt des heutigen Geschehens, nicht Tag für Tag, sondern Stunde für Stunde, oft Minute für Minute kommen die missionierenden Medienleute von gestern nicht mehr mit. Was ihnen dann noch fehlt an Hintergrund und Zusammenhang, liefern echte Internetmedien, aber nicht die Online-Ableger der Medien von gestern.